Laila Salome Fischer
Das wohlige Gruselgefühl
Seit mehreren Jahrhunderten kommt es an Opernhäusern auf der ganzen Welt immer wieder zu mysteriösen Todesfällen, Selbstmorden, Messerstechereien, Vergiftungen und öffentlichen Hinrichtungen. Die Mezzosopranistin Laila Salome Fischer widmet sich nun mit wilder Begeisterung und tatkräftiger Unterstützung durch das Ensemble Il Giratempo, dem musikalischen Leiter Max Volbers (Cembalo) und der wunderbaren Konzertmeisterin Mayumi Hirasaki auf dem Album „Scenes of Horror“ genau diesen Szenarien.
„Die Idee hatte Laila Salome Fischer“, berichtet Max Volbers, „Vanessa Heinisch von Il Giratempo und ich waren natürlich sofort Feuer und Flamme. Einerseits deshalb, weil uns alle ein gewisser schwarzer Humor verbindet, aber auch, weil wir fest davon überzeugt sind, dass die mitunter stark überzeichneten fiktiven Schrecken der Oper ein wunderbares Gegengift gegen die Plagegeister der Wirklichkeit sind.“
Mit Laila Salome Fischer und Max Volbers, sowie dem Ensemble Il Giratempo hat sich eine Gruppe ausgewiesener Barock-Spezialisten zusammengefunden, die mit großer Entdeckerfreude in die dunklen Seiten der Oper eintaucht. Also Vorhang auf für den Stoff, aus dem die Albträume sind!
„Scenes of Horror“ ist eine Art barockes Gruselkabinett mit Musik von Georg Friedrich Händel, Attilio Ariosti, Antonio Vivaldi und Carl Heinrich Graun. Es sind vor allem die Opern-Librettisten der Barockzeit, die scheinbar ein diebisches Vergnügen daran hatten, ihre Heldenfiguren ordentlich in die Mangel zu nehmen, bevor diese mal mehr, mal weniger ruhmreich das Zeitliche segnen – oder, mit etwas Glück, das Happy End der Oper feiern durften. Der Kreativität, mit der man die eigenen Figuren in grauenvolle Schreckens-Szenarien manövriert, sind kaum Grenzen gesetzt. Beliebte Sujets sind der Kampf gegen schreckliche Ungeheuer, der Zug in die scheinbar aussichtslose Schlacht, Morde auf verschiedenste Arten, komplizierte Verstrickungen, die nur im Desaster enden können, lebenslange Inhaftierung … und natürlich hagelt es in der Barockoper kreative Todesurteile.
Der Tod auf der Opernbühne ist für die Sängerin Laila Salome Fischer immer eine besondere Herausforderung: „Die menschlichen Abgründe haben mich schon immer fasziniert. Besonders in der Barockoper findet man viele ambivalente Charaktere, die nicht einfach nur Gut und Böse sind, sondern zutiefst menschlich beides in sich tragen. Wie kann ein normaler Mensch zur Bestie werden? Wie geht man damit um, sich in einem Albtraum wiederzufinden? Diese Fragen versuche ich in der Auswahl dieser Szenen zu verstehen, vielleicht sogar zu beantworten.“
Die Leiterin des Ensembles Il Giratempo, Vanessa Heinisch, gerät ins Schwärmen, wenn sie an die Arbeit im Johann-Sebastian-Bach-Saal in Köthen denkt: “Wir hatten den Spaß unseres Lebens bei den Aufnahmen!“ Ihr und den Mitmusiker:innen hat von Anfang an die Vielfältigkeit des Programmes gefallen. „Wir haben die atemlose Aufgeregtheit von Händels „Scenes of Horror“, das hochdramatische ‚Where shall I fly‘ aus seinem Oratorium Hercules, neben dem ganz stillen, friedlichen „Questi ceppi“ von Attilio Ariosti und den dynamisch-kriegerischen Hörnern in „Sta nell‘ Ircana“. Dazu hochvirtuose Instrumentalmusik. Ein besseres Programm könnten wir als Orchester uns nicht wünschen.“ Auch der Tonmeister Stefan Gawlick berichtet von dieser besonderen Atmosphäre: „Von Anfang an war die besondere Spannung, dieses Knistern zu spüren. Da spielten nicht nur ein paar Musiker virtuos ihre Töne, wie ich es oft genug höre. Diese Kollegen wollten vor den Mikrofonen wirklich etwas erreichen. Uns in der Regie hat das ab der ersten Sekunde umgehauen, was da aus den Lautsprechern kam“.
Auch Laila Salome Fischer, die ein bekennender Fan von guten Thrillern und auch Horrorfilmen ist, hebt besonders die Arie „Where shall I fly“ aus Hercules als sehr facettenreich hervor: „Wahnsinn, Angst, Wut, teilweise Erschöpfung finden sich in dieser Szene und diese ganze Bandbreite von Horror darzustellen macht irre viel Spaß“. Sowieso reizen sie die Extreme in ihrem Beruf: „Bühnentode sind eine großartige Herausforderung und fühlen sich so manches Mal logischer an als ein spontanes Happy End.“
Doch nicht nur die literarischen Horror-Szenen sind hoch spannend und abwechslungsreich, ihre Vertonungen sind es ebenso: Mitnichten kommen Angst und Schrecken in der immer selben Klangfarbe daher! Oft durchleben die Figuren ein Wechselbad der Gefühle, von schierer Verzweiflung, Trauer und Wut, Angst und Kampfeslust, über Liebe und Sehnsucht bis hin zum abgrundtiefen Wahnsinn.
„Bei so einem Programm ist es natürlich wichtig, mit Extremen zu arbeiten, auch mal an die Grenzen der Instrumente zu gehen, brachiale, „hässliche“ Farben zuzulassen“, beschreibt Vanessa Heinisch die Herangehensweise. Doch alles geschieht mit äußerster Präzision und Fingerspitzengefühl. „Es kommt darauf an, dass wirklich alle Affekte berücksichtigt werden. Man darf nie vergessen, wie viel Zartheit und Eleganz den Stücken innewohnt. Und, ganz wichtig: Wir sind an vielen Stellen auch sehr glücklich damit, ohne interpretatorische Kraftakte einfach die Musik sprechen zu lassen.“
„Angst muss niemand vor dieser Aufnahme haben“ fügt Max Volbers hinzu. „Ganz ohne den wohligen Grusel wird es nicht gehen, das macht der Titel unseres Albums klar. Und am Ende geht es doch gut aus. Zumindest für das Publikum – versprochen!“